Bilaterale III: Die Schweiz am Scheideweg

Erlinsbach - Der Erzbachsaal im Landhotel Hirschen war vergangenen Montag bis auf den letzten Platz gefüllt. Die FDP Erlinsbach hatte zum traditionellen Sommeranlass geladen, und das Thema, die komplexen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, zog viele Interessierte an. Die Bilateralen III polarisieren und werden die Debatten der kommenden Monate bestimmen. Grund genug, sich frühzeitig und sachlich damit auseinanderzusetzen.

Mit Professorin Dr. Astrid Epiney, einer ausgewiesenen Expertin für Europa- und Völkerrecht an der Universität Freiburg, gelang es der FDP, eine profunde Referentin zu gewinnen. Sie gab den Anwesenden einen klaren Überblick über die bestehenden Abkommen und erklärte, warum die EU seit 2008 verstärkt ein Integrationsabkommen mit der Schweiz anstrebt.

Anders als das seit 1972 bestehende Freihandelsabkommen, das den freien Warenverkehr regelt und lediglich einen Abbau von Zöllen vorsieht, geht es bei den Bilateralen um eine echte Beteiligung am Binnenmarkt. Diese ist weitreichender, da beispielsweise auch Normen gegenseitig anerkannt werden. Da die Schweiz am Binnenmarkt der EU teilnehmen will und nicht umgekehrt, gilt es für die EU, die Interessen ihrer Mitgliedstaaten zu wahren. Für die EU ist der bisherige Status Quo daher mittelfristig nicht mehr tragbar.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen (InstA) durch den Bundesrat nahmen die Vertragsparteien neue Sondierungsgespräche auf. Innerhalb eines Jahres erarbeiteten die Beamtinnen und Beamten in über 200 Sitzungen die nun veröffentlichten Vertragstexte. „Von faulen Beamten kann hier keine Rede sein“, sagte Epiney mit einem Lachen und lobte die Weiterentwicklung des neuen Abkommenspakets.

Einer der zentralen Punkte ist die dynamische Rechtsübernahme. Zwar übernimmt die Schweiz bereits heute autonom EU-Recht, hatte aber bisher kein Mitspracherecht. Mit dem neuen Abkommen wäre die Schweiz im sogenannten „Decision Shaping“ frühzeitig eingebunden. Sie könnte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf EU-Ebene während der Vorbereitung von EU-Rechtsakten, die in den Anwendungsbereich eines der Binnenmarktabkommen fallen, im Vorfeld seines Erlasses Einfluss auf die EU-Rechtsetzung nehmen. Im Übrigen wird eine Weiterentwicklung des EU-Rechts erst nach einstimmiger Entscheidung im Gemischten Ausschuss in ein Abkommen integriert; je nach Wichtigkeit des Anliegens würde der Bundesrat seine Beamtinnen und Beamten zum Austausch entsenden. Die Zustimmung des Schweizer Vertreters im Ausschuss wäre nur dann möglich, wenn die innerstaatlichen Vorgaben eingehalten werden.

Sollte es nach dem Beschluss des Gemischten Ausschusses zu Vertragsverletzungen oder mangelnder Zustimmung kommen, sieht das neue Abkommenspaket für die Binnenmarktabkommen ein paritätisches Schiedsgericht vor. Dieses Schiedsgericht, nicht der Europäische Gerichtshof (EuGH), würde über die Verhältnismässigkeit von Ausgleichsmassnahmen entscheiden. Der EuGH käme lediglich zur Rechtsauslegung des in die Abkommen übernommenen EU-Rechts zum Einsatz, wobei diese Auslegung auch für die EU-Mitgliedstaaten gälte.

Abschliessend hält Astrid Epiney fest: „Wir wollen die EU nicht heiraten, aber wie bei einer Heirat und anderen Verträgen ist es auch bei völkerrechtlichen Abkommen normal, dass man eine Güterabwägung vornehmen muss.“ Die Wahl bestehe zwischen einer Beteiligung am Binnenmarkt mit Rechtssicherheit und geregelten Beziehungen oder einem Kräftemessen mit politischen Druckinstrumenten. In Bezug auf die Streitbeilegung würde eine Ablehnung des Pakets, so die Expertin, die Schweiz in jedem Fall schlechter dastehen lassen als es Norwegen oder Grossbritannien tun, die bereits über Abkommen zur Streitbeilegung mit der EU verfügen. 

 

Text: Andreas Baertsch